IDEAL X


1

Die Müdigkeit nimmt überhand, schon am frühen Morgen, dann fällt die Nacht und die Tore schließen sich.

Die Reise beginnt.

10.000 TEU, Postpanamax, die Ströme fließen 24/7.

Der Raum ist nur für dich.

Metallisch ist die Unendlichkeit der Leere und die Alpträume kommen oder die Schlaflosigkeit.

Bewegung. Darunter: Inerte Fläche. Glänzend, bis zum Horizont. Die Kälte darüber eine klarere Schicht. Eine Haut. Eine Decke, wie Glas.

Du kannst deine Hand darauf legen; sie wird darauf keinen Abdruck hinterlassen. So wie du die Fläche durchschreiten kannst und man wird deine Fußspuren nicht sehen.

Auch die Membran ist undurchdringlich: sie ist aus Metall.

Du fühlst dich einsam und stellst dir, weil du es nicht besser weißt, Gesang vor, der von irgendwoher kommt.

Ein Wiegenlied zum Beispiel, denn du suchst etwas Tröstliches.

Doch es ist nur dein Tinnitus.

Mit jedem Sandkorn, das die Enge des Stundenglases passiert, wird er schriller.

Er quält dich. Er wird dich nicht mehr verlassen,

sodass du den Gesang, den du suchst, sollte er je kommen, niemals hören wirst.

Oder du rufst:

Ein schlagendes Herz, da ist ein großes, lebendig schlagendes Herz!

Du bist dabei den Tränen nah.

Sorry, aber du hast dich verhört.

Es ist das Dröhnen eines Dieselaggregats.

Du brichst in Tränen aus und heulst drei Tage lang.

Ich glaub es nicht…es gibt tatsächlich Leute, die heulen, wenn sie das Schlagen eines Dieselmotors mit dem Schlagen eines Herzens verwechseln.

Wenn es dir deswegen schlecht geht, dann ist das allein deine Schuld, nur deine!

Du könntest auch einfach ins Internet gehen und dir bei Amazon ein paar neue Turnschuhe bestellen und wieder öfter laufen. Oder eine Stunde Yoga machen.

Dann ginge es dir auch besser.


2

Sofort, wenn die Ernte erfolgt ist, werden die Hoffnungen verarbeitet.

Auf Paletten gelagert und ab in den Hafen.

In die Container, über den Ozean.

Intermodaler Transport.

Die schönen neuen Dinge, die Leere der Körper zu füllen:

Bereits kurze Zeit später liegen sie in den Regalen der Einkaufszentren, griffbereit zur Konsumation.

Wieder einmal fühle ich mich leer.

Ich gehe also zu MaxMaraPradaDior oder zu Primark und kaufe ein paar Kleidungsstücke.

Freundliche Gabe der Schiffe.

Die Körper werden ausgestopft mit den Waren, wie der Taxidermist Stroh in tote Tiere stopft. So gewinnen die Körper, die leer und ohne Spannkraft waren, wieder Gestalt.

In Sekundenschnelle beginnen die Waren jedoch im Inneren der Körper zu schimmeln, zersetzen sich, verbreiten ihr Gift.

Die Waren lassen auf ihrem Trampelpfad durch die Welt überall ihre stinkenden Fäkalien zurück.

Das sagte irgend so ein Philosoph. Vielleicht war es aber auch ein Aktivist.

Ich.

Ich scheiß auf die ganze Globalisierungskritik und kaufe noch zwei Paar Sandalen dazu.

Weil es mir dann einfach besser geht.


3

Das Areal unserer Träume beschränkte sich auf die Eisenbahnzeit.

Wir gaben Territorium auf.

Aber die Ströme sind unerbittlich.

Sie nehmen das gesamte Land.

Die Küsten, an denen wir jetzt noch anlegen könnten sind alle verseucht.

Ihr Sand ist von schwarzen Schlieren durchzogen, alle Tiere sind tot, die Wellen haben gelben Schaum und überall ist Müll.

Sich einschließen auf einer Toilette hilft da auch nicht mehr.

Die Verbesserung der Körper mittels chirurgischer Eingriffe hilft da auch nicht mehr.

Vermehrter Pornokonsum hilft da auch nicht mehr.

Man sollte öfter in Wäldern baden, das ist gut für die Seele, sagst du.

Hochwertige Wälder sind mittlerweile Mangelware, sage ich.

Dann geh halt in ein Maisfeld, oder schau dir im Netz ein Naturfoto an oder lade weißes Rauschen in deine earplugs.

Das geht letztlich auch.

Es muss.


Text: Simone Schmon

Autor: Daniel Bencomo

Nací en 1980 en San Luis Potosí, México. Leo y de tanto en tanto escribo poemas en español. También los traduzco del alemán.

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